Eines der letzten Strip-Lokale im «Dörfli» schliesst
Noch tanzen Tania aus der Slowakei, Gabriela aus Rumänien und ihre Kolleginnen Abend für Abend auf der kleinen Bühne des Nachtclubs Calypso im Niederdorf. Doch die fast unbekleideten Frauen locken kaum mehr männliches Publikum ins Lokal, das bereit ist, für eine Stange Eichhof-Bier 14 Franken oder die billigste Champagner-Flasche 390 Franken hinzulegen. Pierluigi «Luigi» Lionzo hat darum beschlossen, den Betrieb des Calypso auf den kommenden Sommer hin einzustellen. Er war über 30 Jahre lang Geschäftsführer; seit dem Tod des ehemaligen Besitzers Angelo Pfister 2015 ist er Pächter des Nachtclubs. Es mache keinen Sinn mehr, sagt er. Etwas Neues sucht er selbst nicht mehr. Er habe dann fast das Pensionsalter erreicht.
An die Langstrasse verlagert
Mit dem Ende des Calypso endet auch seine Karriere, Lionzo geht dann in Pension. Er beobachtet seit einigen Jahren, dass es im Niederdorf ruhiger geworden ist – und das Geschäft mit seinem Cabaret nicht mehr gut läuft. «Um Mitternacht gibt es im Niederdorf kaum mehr Leute, selbst an den Wochenenden trifft man ab ein Uhr nachts nicht mehr viele Personen an», sagt Lionzo. «Tagsüber hat es zwar viele Touristen, manchmal wird es eng in den Gassen – doch die gehen offenbar alle früh ins Bett.»
Die Altstadt rechts der Limmat ist kein Treffpunkt mehr für Leute im Ausgang: Das jungen Volk pilgere an die Langstrasse, in den Kreis 5 oder zum Lochergut, das sich zum trendigen Hotspot für Partygänger entwickelt. Das Rotlichtviertel ist kaum mehr in den Gassen der Altstadt anzutreffen – obwohl es dort im Gegensatz zum Chräis Chäib, wo Prostituierte sichtbar auf Trottoirs ihre Dienste anbieten, eine bewilligte Strichzone gibt. In der Zürcher Altstadt existieren neben dem 1971 eröffneten Calypso heute nur noch drei weitere Nachtclubs und Cabarets: die Haifisch-Bar, das Dolce Vita und das Imperium.
Im Niederdorf gebe es auch kaum mehr eine Bar, die unter der Woche nach Mitternacht Drinks serviere. Das war früher anders: Im Restaurant Johanniter konnte man bis vor ein paar Jahren morgens um halb vier Bier und dazu sogar noch etwas Währschaftes aus der Küche bestellen. Heute schliesst das altehrwürdige Lokal auch am Freitag- und Samstagabend bereits um 23.30 Uhr. «Wir haben keine Erlebnisgastronomie mehr hier, das hält die Leute ab», sagt der Calypso-Chef.
«Um Mitternacht hat es im Niederdorf kaum mehr Leute, selbst an den Wochenenden trifft man ab ein Uhr nachts nicht mehr viele Personen an.»Pierluigi «Luigi» Lionzo, Calypso-Betreiber
Doch das sei nicht er einzige Grund für den langsamen Niedergang des Nachtlebens im Niederdorf und speziell des Striptease-Clubs. Die Zufahrt zum Niederdorf sei eingeschränkt oder ganz verboten und Parkplätze aufgehoben, sagt Lionzo. Und grosse Firmen und Banken strichen Spesenbudgets ihrer Mitarbeiter zusammen – das teure Nachtvergnügen wird nicht mehr vergütet.
Lionzo musste darum sein Personal über die Jahre hinweg reduzieren. Zu den besten Zeiten beschäftigte er vier Angestellte für die Bar, heute ist dafür noch eine Person zuständig. Bei den Tänzerinnen musste er die Zahl von 15 gar auf 4 bis 5 reduzieren. Die Attraktivität der Cabarets leidet seit dreieinhalb Jahren zusätzlich, weil sie nur noch Artistinnen aus dem EU-Raum oder Niedergelassene beschäftigen dürfen. Und keine Frauen mehr aus Südamerika oder Südostasien.
Neu kommt ein Jazzlokal
Die Nachfolge des Calypso ist bereits geregelt – und es wird wider Erwarten nicht ein weiteres Chinarestaurant oder Kleidergeschäft in die Lokalität an der Niederdorfstrasse 60 einziehen, wie das sonst häufig der Fall ist. Die Besitzerin Denise Helbling-Pfister hat das Calypso-Lokal und die Würstchengrillbude daneben, die heute separat geführt wird, an eine Gruppe junger, innovativer, erfahrener und kulturaffiner Gastronomen vergeben. Sie hatte diese angefragt, ob sie Interesse an einem weiteren Lokal hätten. «Ich will das untere Niederdorf wieder beleben, ihm etwas zurückgeben», sagt sie. Sie verzichtet damit auf mehr Mieteinnahmen, die sie mit einem Kleiderladen oder einer Gastrokette hätte erzielen können. «Geld ist nicht alles», sagt sie. Mit ihrem Mann führt sie das nahe Hotel Alexander.
Das Cabaret im unteren Niederdorf leidet seit Jahren unter Gästeschwund.
Die Initianten, die noch nicht an die Öffentlichkeit treten wollen, werden im Calypso selbst ein neues Restaurant der gehobenen Klasse eröffnen. Die Würstchenbude werden sie als Take-away-Lokal weiterbetreiben. Und ihnen ist es ein Anliegen, die Kulinarik mit der Kultur zusammenzubringen. Der heutige Striptease-Schuppen soll sich zu einem Jazzlokal entwickeln – was ganz im Sinne von Denise Helbling-Pfister ist. Die Jazztradition, die in den 60er- und 70er-Jahren im Dörfli einmal herrschte, wollen sie wiederaufleben lassen. Das Lokal soll zu einem Treffpunkt für alle Gesellschaftsschichten werden.